News / 08.09.2020

Blickpunkt: Film

 "Servus Baby": Ein Wahnsinn, was wir da angefangen haben

 

2018 avancierte die Miniserie "Servus Baby" zum Überraschungs-Hit des BR, war online und linear gleichermaßen erfolgreich. Zum heutigen Start der 2. Staffel - ab 20.15 Uhr im Bayerischen Fernsehen - sprach Blickpunkt:Film mit den Machern Natalie Spinell (Buch/Regie) und Felix Hellmann (Buch/Schauspiel).

 

Die "Servus Baby"-Masterminds Felix Hellmann und Natalie Spinell (Bild: Ruth Kappus, Felix Hellmann) 

 

2018 avancierte die Miniserie "Servus Baby" zum Überraschungs-Hit des BR, war online und linear gleichermaßen erfolgreich. Zum heutigen Start der zweiten Staffel - ab 20.15 Uhr im Bayerischen Fernsehen - sprach Blickpunkt:Film mit den Machern Natalie Spinell (Buch/Regie) und Felix Hellmann (Buch/Schauspiel).

Im Vorfeld der ersten Staffel von "Servus Baby" wurden oft Vergleiche zu Sex and the City" bemüht. Hat Sie das genervt oder gefreut?

Natalie Spinell: Ich liebe die Serie. Trotzdem war ich nicht glücklich über den Vergleich, weil wir nicht einmal annäherungsweise "Sex and the City" sind. Wir haben eine ganz andere Tonalität. "Servus Baby" ist "Servus Baby". Wenn schon ein Vergleich, dann zu "Girls"?

Felix Hellmann: Das hätte ich cooler gefunden, weil ich uns als Independent empfinde. Am Anfang fanden wir die "Sex and the City"-Vergleiche noch ganz lustig. Dadurch, dass das dann zum Aufhänger wurde, wirkte es wie ein Verkaufsargument. Das steckt aber in der Serie nicht drin und irgendwann wird das kontraproduktiv, weil man Gefahr läuft, Erwartungen zu enttäuschen. Außerdem kenn' ich nur eine Folge, ich hätte mich beim Schreiben gar nicht darauf beziehen können.

Natalie Spinell: Ich kenne alle Folgen (lacht).

Vom Abschlussfilm an der HFF zur gefeierten BR-Minserie. Wie ist diese tolle Karriere von "Servus Baby" zustande gekommen?

Natalie Spinell: Ganz ursprünglich war es ein Kurzfilm, dann ein Langfilm, nachdem ich gemerkt habe, dass der Stoff zu ausufernd ist. Obwohl ich es zunächst nicht wahrhaben wollte, habe ich dann irgendwann eingesehen, dass es kein Filmstoff ist und man die Thematik am besten als Serie erzählen kann. Also wollte ich an der Filmhochschule als dritten Übungsfilm einen Serienpiloten machen. Weil dann alles viel zu teuer wurde, ist der dritte Übungsfilm bei mir ausgefallen und es wurde gleich mein Abschlussfilm. Das war ein Risiko, doch der Pilot kam so gut an, dass wir Folge zwei bis vier schreiben durften.

Ab wann war der BR mit von der Partie?

Natalie Spinell: Der BR war erst ab Folge zwei dabei und hat Folge 1 dann gekauft.

Waren Sie von Anfang an dabei, Herr Hellmann?

Felix Hellmann: Ich bin gleich zu Beginn dazugekommen. Natalie wollte das nicht alleine schreiben, und so wurde das für uns ein Projekt, um diese Konstellation des Zusammenschreibens einmal auszuprobieren. Dadurch, dass sie mich als ersten gefragt hatte, habe ich das Glück, bis jetzt mitschreiben zu dürfen.

Wie sind Sie auf dieses sehr gut funktionierende Konzept gekommen, in jeder der vier Folgen eine andere der vier Protagonistinnen in den Mittelpunkt zu stellen?

Natalie Spinell: Das hat sich allmählich herauskristallisiert, weil sich so das übergeordnete Thema der ersten Staffel - Verzweifelt sein, dieses "desperate"-Gefühl - am besten von allen möglichen Seiten zeigen ließ.

Felix Hellmann: Beim Kurzfilm und auch bei der Langfilmidee stand noch eine Figur mit drei Freundinnen im Vordergrund. Wir haben dann gemerkt, dass es innerhalb dieses Hauptthemas nochmals mehrere Themen gab, dadurch kamen die anderen Figuren immer mehr zum Tragen. Und so kamen wir an den Punkt, den Blickwinkel von Folge zu Folge zu wechseln. Die Geschichte statt über eine, über vier Figuren laufen zu lassen, fand ich die größte Herausforderung beim Schreiben.

Josephine Ehlert, Genija Rykova, Teresa Rizos und Xenia Tiling harmonieren so, als kennen sie sich ewig. Wie haben Sie Ihre "FabFour" zusammengestellt?

Natalie Spinell: Wir haben ein Konstellationscasting vor dem Schreibprozess gemacht. Es gab viele Kandidatinnen in dem Spielalter. Wir wollten ursprünglich auch ethnisch differnzierter denken, aber letztlich haben wir gemerkt, dass es nur darum gehen kann, wer am besten zusammenpasst. Ein wichtiger Aspekt ist bei mir außerdem die persönliche Ebene.

Felix Hellmann: Wichtig war auch die Fähigkeit oder die Bereitschaft sich diesen Themen zu öffnen. Das waren zum Teil sehr persönliche Gespräche, um auf eine Basis zu kommen, von der aus man spielen kann. Man braucht auch schon ein bisschen Mut, sich darüber auszutauschen wie "verzweifelt man den Partner fürs Leben sucht"?

Die Dialoge zählen zur ganz großen Stärke, wirken wie aus dem Leben gegriffen und nicht geschrieben. Kommt das alles von Ihnen oder bringen sich Ihre vier Schauspielerinnen mit ein?

Natalie Spinell: Ich würde sagen, 95 Prozent sind wir und fünf Prozent, dienen dazu, alles mundgerecht zu machen. Genija Rykova, die die Mel spielt, musste ich fast dazu nötigen, dass sie immer wieder Mels Anglizismen verwendet. Heute liebt sie die Anglizimen .

Felix Hellmann: Wenn, dann geht es um eine Umstellung oder das Tauschen einzelner Wörter. Aber unsere Dialoge blieben eigentlich unberührt. Gott sei Dank haben sich die Schauspieler da nicht gewehrt.

Natalie Spinell: Aber auch von Redaktion und Produktion (Psst Film) kamen wenig Widerworte. Die haben das getragen, obwohl sich unsere Figuren auch mal derb beschimpfen oder "Du Muschi" sagen. Ich hatte befürchtet, dass das im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein Problem sein könnte. War es aber nicht. Wir hatten eine mutige Redaktion.

Wie funktioniert das, wenn Sie zusammen schreiben, wie kann man sich das vorstellen?

Felix Hellmann: Wir suchen uns für jede Staffel ein Thema, mit dem wir beide was anfangen können. Das war zunächst das "Verzweifelt sein" oder dieses "desperate"-Gefühl. In der zweiten Staffel geht es um "Ankommen im Leben", und was Ankommen bedeutet. Je mehr man die Figuren kennt, um so mehr kann man dort wieder andocken. Am Anfang ging es noch darum, ganz viel zu sammeln. Dann geht es in die Exposé/Treatment-Stadien. Wenn wir dann für jede Folge eine Stoffsammlung haben, versuchen wir Szenen rauszuhauen, Natalie vorneweg.

Natalie Spinell: Felix ist wahnsinnig toll in der Strukturierung, der Ordnung. Er gibt den Figuren den richtigen Schliff und hat mehr Sitzfleisch.

Felix Hellmann: Aus Natalies Ideen könnte man 30 Filme machen, da muss man den Überblick behalten.

Natalie Spinell: Er ist der Kopf, ich bin der Bauch.

Sie zeigen München aus einer besonderen Perspektive. Wer in München lebt, findet sich darin wieder. Welche Rolle spielt die Stadt für die Serie?

Natalie Spinell: Eigentlich ist die Serie auch eine Liebeserklärung an unser München. Ich finde schon toll, was wir hier alles haben. Gleichzeitig geht es aber auch um einen Kampf mit München als Stadt.

Felix Hellmann: Auf den Frauen in der Serie lastet ja ein Druck. Und der Schlüssel zu diesem Druck ist die Stadt München durch den Lebensstandard der gefordert wird, die hohen Mietpreise. Um hier leben zu können und alles unter einen Hut zu bekommen - Kinder, Karriere, als Paar zu funktionieren -, wird einem sehr viel abverlangt. München passt als Ort sehr gut, um diesem "desperate"-Gefühl, ich brauche einen Mann, um das alles zu schaffen, zusätzlich Ausdruck zu verleihen. Die Stadt ist so gesehen der fünfte Protagonist.

Gibt es etwas, das Sie in der 2. Staffel anders machen wollten, fand ein Erfahrungsprozess statt, der die Arbeit an der zweiten beeinflusst hat?

Natalie Spinell: Im Grunde ist es ein dauernder Lernprozess. Es ist unfassbar, was wir schon alles lernen durften. Wir hatten in der ersten Staffel schon sehr viel gesetzt, was wir jetzt unbedingt beibehalten wollten. Wir haben ein hohes Tempo gesetzt, viele Motive, viele Figuren. Von außen betrachtet, war das eigentlich ein Wahnsinn, was wir da angefangen haben. Als es auf Staffel zwei zuging, dachte ich gleich wieder, "oh Gott, die vielen Figuren". Aber gleichzeitig habe ich mich sehr darauf gefreut, weil wir dem Zuschauer hoffentlich wieder etwas bieten, ihn aufs Neue überraschen wollten.

Felix Hellmann: Wir wollten nicht bewusst etwas anders machen, aber gleichzeitig die Thematik weiterführen. Das "desperate" sein erschöpft sich filmisch irgendwann. Und man entwickelt sich ja auch als Mensch weiter. Deshalb wollten wir auch, dass sich die Mädels weiter entwickeln dürfen.

Natalie Spinell: Aber es gab nicht den Ansatz, es muss ganz anders, muss "noch toller" werden. Wir müssen Spaß haben beim Schreiben und später auch beim Realisieren, damit dann auch der Zuschauer Spaß hat. Davon bin ich überzeugt.

Ab wann wussten Sie, dass Sie eine zweite Staffel machen dürfen?

Natalie Spinell: Besprochen wurde das schon während der Dreharbeiten. Aber definitiv Bescheid wussten wir erst nach der Ausstrahlung.

Sie beide kommen ursprünglich aus dem Schauspiel. Inwieweit profitieren Sie davon beim Schreiben und beim Inszenieren?

Natalie Spinell: Ich glaube, dass es immer total positiv ist, wenn man Erfahrungen aus einem anderen Bereich mitbringt. Ich konnte von allen Regisseuren, mit denen ich als Schauspielerin gearbeitet habe, sehr viel lernen. Was mag ich, was hat mir geholfen oder was hat mich verunsichert? Manchmal durchschaut man auch die Schauspieler, durchschaut ihre Textunsicherheiten, weil man selbst die gleichen Erfahrungen gemacht hat. Dann nimmt man sie nochmal kurz zur Seite. Und auch dadurch, dass Felix und ich unsere Dialoge immer gleich auch mal durchspielen, ist das ein großer Vorteil. Ich wüsste gar nicht, wie ich ohne die Schauspielerfahrung überhaupt Regie führen könnte.

Felix Hellmann: Es hilft am Set auf jeden Fall immens, dass Natalie eine super Schauspielerin ist. Die Erfahrungen aus verschiedenen Departments bereichern sich immer gegenseitig. Zunächst hab ich gemerkt, dass mir das Schauspiel beim Schreiben hilft, weil ich ein besseres Gefühl dafür habe, wo zum Beispiel eine Szene aufhören muss, damit eine gewisse Komik entsteht. Jetzt merke ich, dass mir das Schreiben auch sehr viel fürs Schauspielen bringt. Ich kann mir jetzt Drehbücher ganz anders zu eigen machen, weil ich nicht nur eine Geschichte lese, in der ich mich suchen muss. Ich sehe jetzt die ganze Funktion dahinter und weiß besser, was meine Aufgabe ist.

Akzeptanzprobleme am Set gibt es nicht? Oder ist das jetzt eine blöde Frage?

Natalie Spinell: Nein, so abwegig finde ich das nicht. Aber ich hatte bis jetzt nicht das Problem. Von einem Regisseur erwartet man, dass er weiß, was er will. Und wenn er es einmal nicht weiß, muss er ehrlich sein zu sich selbst und zu seiner Crew. Erst wenn man diesen Weg verlässt und anfängt zu rudern, wird man nicht mehr ernst genommen.

Felix Hellman: Ich finde die Frage auch insofern interessant, weil in Deutschland, anders als in anderen Filmländern, im Kopf der eine Beruf den anderen oft ausschließt. Wenn in Deutschland jemand das Fach wechselt, heißt es immer gleich: Ach so, du machst ja jetzt das. Dabei sollte man Filmemachen viel mehr als Gesamtkonzept verstehen. Das eine schließt das andere nicht aus, es reichert es an.

Wie geht es für Sie beide weiter? Kommt eine dritte "Servus Baby"-Staffel?

Natalie Spinell: Es ist alles noch in der Luft, aber es besteht auf beiden Seiten der Wunsch, weiterzumachen. Es gibt auch schon einige Ideen, aber es ist noch nichts in Stein gemeißelt.

Felix Hellmann: Wir müssen das auch mit anderen Projekten, an denen wir arbeiten, koordinieren.

Können Sie mehr verraten?

Natalie Spinell: Zusammen schreiben wir beide gerade an einem Kinoprojekt mit dem Titel "Monty for Mars". Es geht um einen 17-jährigen Jungen, der drauf und dran ist sich für eine Marsmission zu qualifizieren. Seine Mutter findet das aber nicht so prickelnd. FFA gefördert sind wir, gehen jetzt auf die Suche nach einem Verleih. Ein paar andere Projekte stehen auch noch im Raum.

Felix Hellmann: Ich bin mit einem Drehbuch fertig, mit dem ich vor zehn Jahren begann. Da kam dann aber "Servus Baby" dazwischen. Es heißt "Die Wahrscheinlichkeit des Glücks", eine märchenhafte Tragikomödie, Marcus H Rosenmüller möchte es verfilmen. Auch hier befinden wir uns in der Finanzierung.

Das Interview führte Frank Heine